A. Beck u.a. (Hrsg.): Sakralität und Sakralisierung

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Titel
Sakralität und Sakralisierung. Perspektiven des Heiligen


Herausgeber
Beck, Andrea; Andreas, Berndt
Reihe
Beiträge zur Hagiographie 13
Erschienen
Stuttgart 2013: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Paul Oberholzer

Im Sommersemester 2012 führte die DFG-Forschergruppe «Sakralität und Sakralisierung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Interkulturelle Perspektiven in Europa und Asien» eine Ringvorlesung mit dem Titel «Was ist Sakral? Perspektiven des Heiligen» durch, deren neun Beiträge in diesem Band publiziert werden.

Klaus Herbers greift in seinen einleitenden Bemerkungen auf die lateinischen Begriffe sacer und sancire zurück, was als heilig abgrenzen oder hervorheben eines Raumes, Gegenstandes oder einer Person bedeutet. Diese Erklärung befriedigt nicht ganz, zumal sie den lateinischen Begriff mit seiner gängigen deutschen Übersetzung erklärt; darauf aufbauend fährt Herbers fort, dass Sakralität selten klar definiert war, und stellt die interessante Frage, wie die dem europäischen Kulturraum entnommene Begrifflichkeit auf entsprechende Vollzüge in asiatischen Kulturen anwendbar ist. Die verschiedenen Beiträge des Buches untersuchen verschiedene Vollzüge von Sakralisierung sowie Sakralität in ihrer historischen Wandelbarkeit, um dabei strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede über Kultur- und Epochengrenzen hinaus herauszuarbeiten.

In einem ersten Essai über Herrschersakralität geht Franz-Reiner Erkens davon aus, dass in der ganzen Menschheitsgeschichte Herrschaft religiös konnotiert wird, dass aber die explizite Charakterisierung dieser Verhältnisse als sakral aus dem 19. Jahrhundert stammt. So handelt es sich beim Begriff des Sakralkönigtums um einen späteren, wissenschaftlichen Hilfsbegriff. Erkens stellt die grundsätzliche Frage, was unter Sakralität genau verstanden wird, zumal der Begriff unreflektiert überall dort zur Verwendung kommt, wo sich ein Herrscher religiös legitimiert. Welche Vorstellungen entsprechen in der jeweiligen Zeit dem, was man heute mit Sakralität zusammenfasst? Erkens arbeitet darauf drei Wesensmerkmale heraus, die dem Begriff Sakralität zugeordnet werden können: Das Naheverhältnis des Herrschers zu Gott, dessen Verantwortung zu Gott und die herrscherliche Sazerdotalität. Die Sakralität allein als ein Mittel der Herrschaftslegitimierung zu bezeichnen, hält Erkens für einen Kurzschluss. Ebenso dient sie nicht nur dazu, eine Idealvorstellung zu entwickeln, an der ein Herrscher gemessen und gegebenenfalls wieder beseitigt werden konnte. Vielmehr gibt sich Erkens überzeugt, dass es ohne Akzeptanz der Ideenwelt herrscherlicher Sakralität keinen sakralen Herrscher geben konnte, wobei aber gerade auf diesem Hintergrund die Legitimation des Herrschers funktionieren konnte.

Die Vorstellung, dass königliche Herrschaft auf dem Willen Gottes beruht, erfuhr aber ab dem hohen Mittelalter eine Differenzierung, hervorgerufen vor allem durch den Anspruch des Reformpapsttums des 11. und 12. Jahrhunderts, die die Gottesstellvertreterschaft der antiken Kaiser für sich beanspruchten. Dies hat die Könige gemäss Erkens dazu veranlasst, sazerdotale Komponenten in ihr Selbstverständnis aufzunehmen, ohne allerdings je Priester sein zu wollen. Durch die Salbung und seine Insignien erfuhr der Herrscher einen Dignitätswechsel zu einem geweihten Laien sui generis. Die Darstellung Erkens ist beachtlich. Die Schritte von der Dekonstruktion zur Rekonstruktion werden sehr schnell gesetzt, was damit zu erklären ist, dass der Autor auf einer beschränkten Seitenzahl seine in umfangreichen Monographien dargestellten Studien konzise zusammenfassen musste. Allerdings bleibt er in seinen Darstellungen in mittelalterlichen Verhältnissen und bezeichnet zum Abschluss Herrschersakralität dennoch als globales und epochenüberdauerndes Phänomen. Aussereuropäische Kulturen kommen in seiner Darstellung aber für die Plausibilität eines solchen Schlusses zu wenig vor. Es fehlt auch ein Hinweis auf die Pariser Schule des 16. Jahrhunderts, in der jede irdische Herrschaftsform, auch die Monarchie, in einer vorgängigen Vereinbarung aller Mitglieder einer Gesellschaft begründet liegt, und nicht in einer göttlichen Stiftung. Es stellt sich dabei die Frage, ob nicht diese Schule, die die katholische Theologie der frühen Neuzeit tief geprägt hat, eine erste Entsakralisierung des Königtums vorgenommen hat.

Andrea Beck und Michele C. Ferrari untersuchen die fortdauernde Präsenz der Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula über die Reformation hinaus. In Verbindung mit der Reliquienverehrung lokalisieren sie die Hauptzüge des Sakralen in den Begriffen von Präsenz und Exzeptionalität der Heiligen. Die Verehrung vollzog sich im Mittelalter auf der Zeitebene durch liturgische Handlungen, die über das Kirchenjahr verteilt waren, sowie performativ im Raum durch die Kirchen, die die Reliquien der Heiligen bargen und das Stadtbild prägten. Zwingli lehnte wohl den Heiligenkult ab, da die Interzession der Heiligen keine biblische Grundlage habe und führte über den Bildersturm, die Aufhebung der Gräber und die Streichung der Feiertage eine desakralisierende Enträumlichung durch. Die beiden Autoren arbeiten aber heraus, dass Zwingli inskünftig neben Ostern, Weihnachten und Pfingsten nur noch am 11. September, dem alten Fest der Stadtheiligen, das Abendmahl reichen liess. Weiterhin trugen erstaunlich viele Zürcher die Namen der Stadtheiligen. Noch interessanter ist das Faktum, dass verschiedene Humanisten Zürichs deren Legenden im humanistischen Sinne neu pflegten und die Heiligen als Träger des wahren apostolischen Glaubens herausarbeiteten. Zwingli habe lediglich deren authentisches Erbe wieder hervorgeholt und von späteren Verirrungen gereinigt. Die beiden Kompontenen der Sakralität, Präsenz und Exzeptionalität, erfuhren damit eine Umwandlung, aber keine Negierung, sondern sie blieben ideelle Repräsentanten des städtischen Zusammenhalts und der reinen Lehre.

Besondere Beachtung findet der letzte Beitrag von Roger Thiel «Exkursionen zu den Ursprüngen des Heiligen. Max Müllers vergleichende Religionswissenschaft». Es ist keine historische Studie, sondern eine religionswissenschaftlichsystematische und bedient sich damit einer von den übrigen Artikeln verschiedenen Terminologie und Methodik. Thiel geht davon aus, dass das Heilige das Unzugängliche, Undarstellbare, ganz andere ist und sucht einen Zeichenfonds, in dem das Heilige immediat eingesenkt ist, eine Kulturtechnik, mit der das Heilige entbergt werden kann. Thiel bezieht sich auf Max Müller, den Begründer der Religionswissenschaft, der diesen Zeichenfonds in der Sprache und die Kulturtechnik in der Etymologie gefunden hat.

Müller geht davon aus, dass es keine Erscheinung gibt ohne etwas, was dahinter in sich existiert. Ursprünglich hatte der Mensch die Fähigkeit, im Erkenntnisprozess Wörter auszusprechen, in denen sich direkt ein substantieller Teil des Gegenstandes ausdrückte; es geht also um eine wesenhafte, apriorische Zuordnung des Begriffs zum Gegenstand. In einem zweiten Schritt kommt es zum Metaphernbildungsprozess, dem Einordnen des Individuellen unter das Allgemeine. Es entstehen Begriffe, die vom konkreten Einzelgegenstand unabhängig existieren. Wenn der ursprüngliche Sinn des Namens dieser Begriffe verschwunden ist, treten mythische Gestalten in Erscheinung, verwandeln sich Naturkräfte in Eigennamen. Müller bezeichnet diesen Prozess einerseits als dem Wesen der Sprache notwendig inhärent, andererseits auch als Krankheit, die eine Entfremdung vom einstmals direkten Blick auf das Objekt mit sich bringt.

Thiel nimmt nun die Theorie von Hermann Usener zu Hilfe, der den ursprünglichen Erkenntnisprozess Müllers mit der Prägung eines Götternamens, eines Augenblicksgottes, durch sinnliche Eindrücke in Parallele setzt. Das Heilige bezeichnet Usener dann als den namenlosen Urgrund, aus dem sich der unmittelbare Sinneseindruck oder eben der Augenblicksgott ablöst und den Menschen überfällt. Thiel endet mit der Aussage von Rudolf Otto, dass dieses Heilige eine Kategorie rein a priori sei und sich zuerst über konkrete Sinneseindrücke in den Menschen senkt.

Die Darstellung Thiels ist wegen seiner Bezugnahme auf verschiedene Religionswissenschaftler mit unterschiedlichen Methoden und Systemen etwas verworren und unübersichtlich, aber eine bemerkenswerte Darstellung, die die einleitenden Reflexionen zur Sakralität ergänzt. Die Religionswissenschaft hat gemäss Thiel ihren Ursprung in Sprachforschungen des Sanskrit. Ihre Ergebnisse werden aber in der abendländischen Religionsgeschichte nur selten vergleichend herbeigezogen. Thiel weist mit seiner Studie Wege eines vielversprechenden interdisziplinären Austauschs.

Zitierweise:
Paul Oberholze: Rezension zu: Andrea Beck/Andreas Berndt (Hg.), Sakralität und Sakralisierung. Perspektiven des Heiligen (= Beiträge zur Hagiographie 13), Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 463-465.

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